CDU-Oberbürgermeister von Konstanz

  • Search23.04.2025

„Das Grünen-Bashing ist totaler Quatsch“

Seit 2012 regiert Uli Burchardt im Rathaus von Konstanz. Im Interview spricht der CDU-Politiker über Ghettobildung und Vielfalt, Markus Söders Attacken auf Robert Habeck und den Klimanotstand, den seine Stadt 2019 ausgerufen hat.

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    Uli Burchardt ist so etwas wie die personifizierte schwarz-grüne Koalition. Im Interview spricht der CDU-Oberbürgermeister von Konstanz über Rezepte für lebenswerte Städte und ruft die politische Mitte zum Zusammenhalt auf.

    „Die CDU ist die vielleicht einzige Partei, die in der Mitte der Gesellschaft die Leute zusammenhalten kann“, sagt Konstanz' Oberbürgermeister Uli Burchardt.

     

    Von Julia Graven

    Neben dem Schreibtisch steht eine Akustikgitarre, auf der anderen Seite sind staatsmännisch Fahnen aufgestellt – Europa, Deutschland, Baden-Württemberg, Konstanz. Uli Burchardt hat sein Büro in einem Türmchen des schmucken Renaissance-Rathauses von Konstanz, nur ein paar Schritte vom Bodensee entfernt in der Fußgängerzone. Nebenan im Ratssaal bereiten Techniker gerade den Videopodcast vor, mit dem die Bürger die Gemeinderatssitzungen online nachverfolgen können. Genau der richtige Ort, um den konservativen OB mit dem grünen Image zu fragen, wie die nachhaltige, innovative Stadt der Zukunft aussehen könnte.

    Herr Burchardt, 2019 hat der Stadtrat einstimmig den Klimanotstand ausgerufen, als erster überhaupt in Deutschland. Warum?
    Uli Burchardt: Wir Städte sind die Hauptverursacher des Klimawandels. Aber wir sind auch die Hauptleidtragenden. Deshalb müssen wir auch die Ersten sein, die diese Aufgabe lösen.

    Sie haben damals gesagt, Konstanz soll 2035 weitgehend klimaneutral sein. Wie weit sind Sie?
    Burchardt: Fridays for Future würde sagen: Ihr seid grauenhaft langsam. Und ja, wir hängen hinter unserem Absenkpfad hinterher.

    Wo hakt es?
    Burchardt: Die Energiegewinnung ist ein Riesenproblem. Das kostet wahnsinnig viel Geld und auch viel Zeit. Wenn ich ein Stromnetz ertüchtigen will, um riesige Wärmepumpen zu betreiben oder große Strommengen von einer großen PV-Anlage abzunehmen, brauche ich erstmal Trafostationen, Umspannwerke und so weiter. Und wenn wir heute einen Trafo bestellen, kommt der in drei Jahren. Fotovoltaik genehmigt zu kriegen und umzusetzen, ist auch viel zu aufwendig bei uns in Deutschland. Und in einer Stadt wie Konstanz mit ihrem denkmalgeschützten Altstadtbereich ein Wärmenetz zu legen, ist ebenfalls sehr, sehr, sehr, sehr schwierig.

    Ulrich „Uli“ Burchardt hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich: Der Sohn eines Historikers machte zuerst eine Ausbildung zum Landwirt, holte dann die Fachhochschulreife nach und studierte Forstwirtschaft. Später arbeitete er bei Manufactum, dem Lieblings-Warenhaus der Schöngeister. Seit 2012 ist der CDU-Politiker Oberbürgermeister der Stadt Konstanz. In seinem sehr persönlichen und unterhaltsam geschriebenen Buch „Menschenschutzgebiet – Wie die Stadt der Zukunft ein Teil der Natur wird“, erschienen 2024 bei Goldmann, entwickelt der 54-Jährige aus seiner Biografie heraus eine politische Programmatik für ein nachhaltiges, urbanes Leben.    Foto: Stadt Konstanz/Chris Danneffel

    Das Klimaziel wird also scheitern?
    Burchardt: Das will ich nicht sagen. Beim maßgeblichen Thema, der Wärme, sind wir weit. Wir können genau sagen, wie jede Straße und jedes Quartier künftig klimaneutral mit Wärme versorgt wird. Und wir sind unmittelbar davor, das erste Wärmenetz zu bauen, mit einem Wärmetauscher am Bodenseeufer, wo wir das Seewasser für eine Wärmepumpe nutzen und mit einem Wärmenetz den ersten Stadtteil versorgen. Fünf Wärmenetze sind geplant, drei nutzen Wärme aus dem Bodensee, eines nutzt Wärme aus einer Schweizer Kehrichtverbrennungsanlage und eines nutzt Abwärme aus der Kläranlage.

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    Es macht keinen Sinn, dass mir jemand in Berlin oder Stuttgart erzählt, wie ich Konstanz beheizen soll

    Uli Burchardt

    Ist Konstanz also mit der Wärme aus dem Bodensee in einer besonders komfortablen Lage?
    Burchardt (lacht): Nein! Wir sind umgeben von Wasser, Naturschutzgebieten und der Schweiz und können im besten Fall ein Drittel unseres Stroms in der Stadt erzeugen, wenn wir alle Potenziale für Dachflächen-PV heben. Das zeigt: Ich brauche für jede Stadt eine andere Lösung. Wir können die Hälfte der Stadt vermutlich mit Seewasserwärme versorgen. Die nächste Stadt hat vielleicht Platz für Freiflächen-PV. Und deshalb muss jede Stadt eine eigene Lösung finden. Das unterstreicht: Es macht keinen Sinn, dass mir jemand in Berlin oder Stuttgart erzählt, wie ich Konstanz beheizen soll.

    Lasst Bürgermeister die Welt regieren, haben Sie in Ihrem Buch geschrieben.
    Burchardt: Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung die Kraft hat, ganze Gesetze einfach abzuschaffen und die Verantwortung in kommunale Hand zu geben. Bürokratieabbau ist ein Riesenthema. Man kann uns erheblich mehr zutrauen und entsprechende Freiräume geben.

    Welche Politikfelder würden Sie denn konkret an die Kommunen übergeben?
    Burchardt: Zum Beispiel den kompletten Bereich des Naturschutzes. Meine Leute hier sind leidenschaftliche Denkmalschützer, Tierschützer, Artenschützer, Biodiversitätsexperten. Denen muss man nur sagen: Ihr müsst Fledermäuse nach Kräften schützen, aber ihr müsst auch einen Stadtteil bauen. Und dann sollen die mit dem Problem fertig werden.

    Konstanzer Fußgängerzone: Die 87.000-Einwohner-Stadt hat als eine der ersten Kommunen eine Solarflicht für Neubauten eingeführt. Für die denkmalgeschützten Altstadtgebäude ist das allerdings keine Option.

    Konstanzer Fußgängerzone: Die 87.000-Einwohner-Stadt hat als eine der ersten Kommunen eine Solarpflicht für Neubauten eingeführt. Für die denkmalgeschützten Altstadtgebäude ist das allerdings keine Option.

    Würde es die Dinge beschleunigen?
    Burchardt: Wenn man ohne Juristen nichts mehr entscheiden kann, ist das nicht gut. Wir stellen ein Tier unter Naturschutz, dann vermehrt sich dieses Tier wie verrückt – und wir sind nicht in der Lage, als Staat darauf zu reagieren. Es ist der Wahnsinn! Das ist so beim Biber, beim Kormoran, beim Graureiher, bei den Fledermäusen, bei den Eidechsen ... Wir dürfen nicht Mensch gegen Natur ausspielen, den Rotmilan gegen die Windkraft oder Solarpaneele gegen den Denkmalschutz. Wir müssen das Gesamtsystem betrachten.

    Mit Ökosystemen kennen Sie sich als gelernter Land- und studierter Forstwirt ja aus. Was haben denn eine Stadt wie Konstanz und ein Wald gemeinsam?
    Burchardt: Der Mensch ist ein Tier, also auch ein Teil der Natur. Also ist das, was er erschafft, auch ein Stück Natur. Ein „hyperkomplexes Wirkungsgefüge“, haben wir in der Waldökologie gesagt. Genau das ist eine Stadt auch. Die Stadt ist also im Grunde nur ein Wald. Und es sind beides Systeme, die man nicht steuern kann wie eine Maschine.

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    Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie achtstöckigen Geschosswohnungsbau planen oder ob Sie Einfamilienhausgrundstücke in die Vermarktung geben. Da werden zwei völlig unterschiedliche Gesellschaften entstehen

    Uli Burchardt

    Können Förster und Bürgermeister dann überhaupt steuern?
    Burchardt: Ich kann das Wachstum des Waldes beeinflussen, ich kann ihm Licht geben. In der Stadt ist es genauso: Mit einem Bebauungsplan, mit der Art von Mischung oder mit der städtebaulichen Dichte, die wir vorgeben, prägen wir ganz stark das soziale Gefüge. Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie achtstöckigen Geschosswohnungsbau planen, als urbanes Gebiet mit einer Mischung aus Wohnen und Arbeiten, oder ob Sie Einfamilienhausgrundstücke in die Vermarktung geben. Da werden zwei völlig unterschiedliche Gesellschaften entstehen.

    Ein Lob der Vielfalt?
    Burchardt: Vielfalt ist die Grundlage von Stabilität in Ökosystemen, das gilt im Wald und auch für die Stadtgesellschaft. Wenn eine Bevölkerungsschicht Wohnraum braucht und wir ziehen am Stadtrand ein Viertel für die hoch, dann habe ich dort ein Ghetto oder so etwas ähnliches. Wir kennen ja Städte, wo sich das so entmischt hat.

    Hafen von Konstanz: Die Stadt baut Wärmenetze, hat eine Verpackungssteuer eingeführt und plant Modellquartiere, die eine hohe Lebensqualität bieten sollen.

    Hafen von Konstanz: Die Stadt baut Wärmenetze, hat eine Verpackungssteuer eingeführt und plant Modellquartiere, die eine hohe Lebensqualität bieten sollen.

    Und wie lässt sich Vielfalt in gewachsenen Strukturen bewahren?
    Burchardt: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir führen seit Jahrzehnten eine Diskussion über die Sperrstunde in der Altstadt. Ein politisches Lager sagt: Seid nicht so spießig und macht endlich nachts die Kneipen auf. Dann ist mal richtig Party in der Stadt. Es gibt ein anderes Lager, zu dem ich gehöre, das sagt: Das dürft ihr nicht machen, weil ihr der Stadt letztendlich schweren Schaden zufügt.

    Warum?
    Burchardt: Heute wohnen in der Altstadt ganz normale Menschen, die morgens zur Arbeit gehen, egal ob Studis oder Herzchirurgen. In dem Moment, wo man dort nachts nicht mehr schlafen kann, entmischt sich das, weil alle wegziehen, die morgens arbeiten gehen. Jeder muss seine Bedingungen vorfinden. Standortansprüche, würde man in der Ökologie sagen.

    Das Fahrrad ist das meistgenutzte Verkehrsmittel in Konstanz – selbst im tiefen Winter, wie hier auf der Fahrradbrücke über den Rhein.

    Fahrradbrücke über den Rhein: Das Rad ist das meistgenutzte Verkehrsmittel in Konstanz. Die Zahl der Pkw pro tausend Einwohner ist im letzten Jahr zum ersten Mal seit Langem gesunken.

    Sie planen ja gerade tatsächlich den neuen Stadtteil Hafner für 8000 Menschen. Da können Sie ja alle Ansprüche berücksichtigen.
    Burchardt: Wir haben da tatsächlich alles reingepackt, was wir heute über Stadtentwicklung wissen. Wir erschließen den ganzen Stadtteil mit einem Grünraum und nicht mit Straßen. Es gibt keine Parkplätze mehr vor dem Haus, nur noch Quartiersgaragen. Das ganze Quartier ist klimaneutral. Der Stadtteil Hafner gehört zum Modernsten, was zurzeit in Europa geplant wird.

    Ein Ökoquartier für Gutverdiener?
    Burchardt: Wir wollen nicht, wie bisher üblich, sehr teuer bauen. Deshalb haben wir jetzt auch mehrere Unternehmen gebeten, uns Musterkalkulationen zu machen, zum Beispiel für seriellen Holzbau. Wir glauben, dass der serielle Holzbau eine wichtige Antwort bei bezahlbarem Wohnraum ist, weil er ökologisch ist, eine gute Bauqualität bietet und es auch schnell geht.

    Damit Bauträger billig bauen und noch mehr verdienen?
    Burchardt: Nein, das ist uns ganz wichtig: Wir nehmen alle Grundstücke in städtische Hand und vergeben sie nur zu unseren Bedingungen, ausschließlich an Wohnungsbaugenossenschaften, unsere eigene Wohnungsbaugesellschaft oder Baugruppen. So entziehen wir sie konsequent der Spekulation.

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    Unterm Strich habe ich meine Rolle in der CDU. Ich bin der komische Typ, der in Konstanz komische Sachen redet

    Uli Burchardt

    Das entspricht nicht unbedingt der kapitalistischen DNA der CDU. Wann haben Sie zum letzten Mal gedacht, dass Sie in der falschen Partei sind?
    Burchardt (lacht sehr lange): Gestern (lacht weiter). Ich höre das so oft: Tritt doch aus, ohne die CDU wäre für Dich alles viel einfacher. Aber ach, unterm Strich habe ich ja meine Rolle in der CDU. Ich bin der komische Typ, der in Konstanz komische Sachen redet. Die CDU ist für mich die Partei der sozialen Marktwirtschaft und der Europäischen Union. Und das sind für mich immer noch zwei Leitsterne, hinter denen ich gerne herlaufe. Vielleicht sind die wichtiger denn je. Die CDU ist ja die vielleicht einzige Partei in Europa, die in der Mitte der Gesellschaft irgendwie noch die Leute zusammenhalten kann. Und ich finde, es gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben, die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten.

    Zusammenhalt in der Mitte scheint für Parteikollegen wie Markus Söder aber nicht so wichtig zu sein ...
    Burchardt: Das Grünen-Bashing ist totaler Quatsch. Die Grünen haben immer wichtige Impulse gegeben und ich finde es in der Demokratie, erst recht, wenn sie von beiden Rändern bedroht wird, völlig daneben, in der Mitte übereinander so zu reden, als ob die anderen Idioten wären. Robert Habeck mag seine Fehler gemacht haben, aber er ist ganz gewiss kein Idiot.

    Ihre Antwort auf die Lästereien des bayerischen Ministerpräsidenten hat in den sozialen Medien Furore gemacht. In Baden-Württemberg scheint es ja ganz harmonisch zwischen Grünen und Konservativen, oder?
    Burchardt: Ich weiß gar nicht so genau, was konservativ ist. Bei den Grünen gibt es eine Strömung, der es vor allem um linke Politik geht. Da wird für uns eine Zusammenarbeit schwierig. Aber wo es um ökologische Politik geht, sind die Schnittmengen sehr groß. Ich sehe auch in der CDU ein großes Interesse an Ökologie. Nur heißt es da „Bewahrung der Schöpfung“.

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